Geschichte des Gesangverein Sulzburg

 

Die gute alte Zeit ?

Es fällt uns nicht schwer, Ereignisse in uns wachzurufen, die zwanzig Jahre zurückliegen, etwa die großen Veränderungen, die mit dem Fall der Berliner Mauer verbunden waren. Uns die Zeit vor 150 Jahren vorzustellen, verlangt da schon größere Anstrengungen. Wie war es in Sulzburg ohne Elektrizität oder Gaslicht, als Chorproben noch bei Öl- oder Petroleumleuchten stattfanden? Wie war es, als die maschinell gefertigten Leisten der Schuhmacher noch keinen Unterschied zwischen rechtem und linkem Fuß kannten, als es noch Wochen dauerte, bis die Schuhe eingelaufen waren. Wie war es ohne Wasser- oder Gasanschluss, ohne Waschmaschine, wie war es ohne Autos in Sulzburg? Wie roch es in Sulzburg, als alle Haushalte noch mit Holz brannten, als die Küfer ihre Fässer noch auf der Straße reinigten, als die Abfälle noch in den Kirchbach geworfen wurden? Wie klang die Stadt, als noch Ochsen- und Pferdefuhrwerke das Langholz durch die Stadt zogen, als die Sägewerke mit Wasserkraft betrieben wurden, als noch sechs Schmiede die Weinfässer mit Reifen und die Pferde mit neuen Hufen versahen?
Sulzburg zur Zeit der Gründung des Männer-Gesangvereins.
Als der Männer-Gesangvereins „zur Förderung des gesellschaftlichen Lebens und zur Pflege des deutschen Liedes" 1861 gegründet wurde, war Sulzburg „ein heiteres, lebendiges, geselliges Städtchen … theilweise noch alterthümlichen Ansehens, mit der alten Klosterkirche, der zur Stadtkirche umgebauten ehemaligen Schlosskirche, mit freundlichem Rathaus, Synagoge und ansehnlichen Privatgebäuden. Die Bergwerke ruhen, aber gewerbliche Hände sind allenthalben thätig und der köstliche Kastellberger trägt den Namen des Waldstädtchens mit Ehren selbst jenseits des Oceans." (Sulzburg, Stadtgeschichte III.S.102) Bezalel Kahn nennt es rückblickend „eine blühende Rose". Es ist ein Handwerker- und Händlerstädtchen. Man zählt in Sulzburg 4 Bäcker, 5 Müller, 5 Metzger, 6 Schumacher, 6 Schneider, 9 Küfer, 3 Sattler, 4 Säger, 4 Weber, 3 Gerber. (III. S.128). Allerdings hatten von den 1.235 Einwohnern nur 140 das Bürgerrecht. (III.S.90)
Die damalige Welt war eine männliche Welt, auch in Sulzburg. Der Pfarrer ist ein Mann, der Bürgermeister ein Mann, der Arzt, der Apotheker, der Lehrer, die Schneider, die Gastwirte, alle waren sie Männer. Das Recht, die Ratsmitglieder zu wählen oder in den Rat gewählt zu werden, stand nur Männern zu. Und so sind auch die Stifter des Sulzburger Gesang-Vereins Männer und diese wollen unter sich bleiben. An einen gemischten Chor denkt man in Sulzburg nur zu besonderen Festtagen. Zwar hat die Großherzogin Louise, die Tochter des preußischen Prinzregenten, in Karlsruhe gerade das Sozialwerk des Badischen Frauenvereins gegründet, an dem sich Henri Dunant für den Aufbau des Roten Kreuzes orientieren wird, aber das ist vorläufig noch ein so zartes Pflänzchen einer Frauenbewegung, dass es noch mehr als 20 Jahre benötigen wird, bis es in Sulzburg Fuß fasst.
Das Land Baden war 1861 keine Republik, sondern hatte im Gegenteil nach der niedergeschlagenen Revolution von 1848/49 seine Monarchie gefestigt. Es wurde vom Großherzog Friedrich regiert, der sich auf seinen mächtigen Schwager Wilhelm, den neuen preußischen König, stützte, und der hatte 12 Jahre zuvor Rastatt zusammengeschossen und damit allen badischen Revolutionären ihre Illusionen geraubt hatte. Und doch lebte dieses Großherzogtum unter einer der modernsten Verfassungen der damaligen Zeit. Es wird lange als liberales Musterländle gelten. Der große Reformlandtag in Karlsruhe von 1862 eröffnete den badischen Bürgern das Recht auf freie Gewerbe- und Wohnortwahl und sicherte den Juden die bürgerliche Gleichstellung, und zwar per Gesetz. Das galt auch für die Einwohner Sulzburgs.

Die Landwirtschaft verliert allmählich an Bedeutung, dafür erlebt das Kleingewerbe einen Aufschwung. Die Mechanisierung der Sägewerke per Dampfkraft bringt Formen der Industrialisierung ins Städtchen Sulzburg. Der Weinhandel wird zu einem bedeutenden Wirtschaftszweig. Man zahlt mit Gulden oder Florin, Kronen und Kreuzern. Der Mitgliedsbeitrag im Gesangverein beträgt 24 Kreuzer (heute ca. 50 Cent).

Die Badische Revolution blieb in Sulzburg jedoch keineswegs unvergessen, denn der Bürgermeister der beiden aufregenden Jahre von 1848 und 1849, Jacob Kaltenbach, ein Mann von revolutionärem Geist, war nach Exil und Gefängnis erst vor wenigen Jahren in seine Heimatstadt zurückgekehrt. Er genoss auch als Privatmann ungebrochenes Ansehen und war ein aktives Mitglied des neuen Männer-Gesangvereins geworden. Die Sulzburger Gemeinde blieb - trotz Gleichstellungsgesetz - wie schon seit langem in eine christliche und eine jüdische Parallelgesellschaft getrennt, was sich gut daran ablesen lässt, dass sich nur ein halbes Jahr nach der Stiftung des Männergesangvereins der jüdische Gesangverein „Sängerbund" bildet. Im Männergesangverein gab es keine Juden und im jüdischen Sängerbund keine Christen.

Im Gründungsjahr 1861 hat Sulzburg noch keinen Bahnanschluss. Aber es gibt in Europa bereits 106.886 km Eisenbahnschienen und in Heitersheim schon seit 14 Jahren eine Bahnstation. Wenn der erste Präsident des Gesangvereins Fritz Schilling im Sommer 1862 an die Garonne reist und in Bordeaux den dortigen deutschen Gesangverein besucht, benutzte er bereits den Schienenweg. Es wird nur noch wenige Jahre dauern bis in Europa ein funktionierendes Fernsprechnetz zur Verfügung steht. Überall ist ein Streben nach Freiheit, Fortschritt und ein Geist brüderlicher Solidarität zu spüren. Und so ist das erste Lied, von dem die Chronik des Männer-Gesangvereins Sulzburg berichtet, ein Lied der Verbrüderung, das Weihelied der Freimaurer, dessen Melodie dem Freimaurer Mozart zugeschrieben wird:

Brüder, reicht die Hand zum Bunde!
Diese schöne Feierstunde
Führ uns hin zu lichten Höhn!
Lasst, was irdisch ist, entfliehen,
Unsrer Freundschaft Harmonien
Dauern ewig, fest und schön.

Preis und Dank dem Weltenmeister,
Der die Herzen, der die Geister
Für ein ewig Wirken schuf!
Licht und Recht und Tugend schaffen
Durch der Wahrheit heil'ge Waffen,
Sei uns göttlicher Beruf.

Ihr, auf diesem Stern die Welt
Menschen all im Ost und Westen
Wie im Süden und im Nord!
Wahrheit suchen, Tugend üben,
Gott und Menschen herzlich lieben,
Das sei unser Lösungswort.

Die Gründung des Sulzburger Männer-Gegesangvereins. Die bürgerliche
Epoche des Vereins. 1861 — 1871.


Die Bewegung der Männergesangvereine ging zu Beginn des 19. Jahrhunderts von Berlin aus. An ihrem Anfang steht Friedrich Zelter, ein Maurermeister, der sich vom Handwerker in einen der angesehensten Berliner Musiker seiner Zeit wandelte und sich große Verdienste um die deutschen Volkslieder erwarb. Ihm und seinem Freund Goethe verdanken wir viele Lieder, die wir heute noch singen. So verbindet uns z.B. das Lied vom König von Thule, dem verliebten Alten und seinem goldenen Becher, mit den Anfängen der Gesangsvereine. Diese Vereine und Liedertafeln, das bürgerliche Freiheitsstreben, die großen Werke der klassischen deutschen Komponisten, Dichter und Philosophen, der Gedanke einer kulturellen und nationalen Einheit aller Deutschen, das alles ist Ausdruck ein und derselben Zeit. Es war eine musikalische Bürgerbewegung mit starker Ausstrahlung in die vielen kleinen Staaten des damaligen Deutschlands, die bald auch in Baden und Sulzburg hörbar wurde. Zwar verstummten die Männergesangvereine nach der Niederschlagung der badischen Revolution für wenige Jahre, aber nur um wenige Zeit später desto stärker wieder aufzublühen.
Das wertvollste Bindeglied zwischen den Anfängen und heute, das uns Auskunft über die ersten Jahrzehnte des Vereins gibt, bilden die vier großen handgeschriebenen Bände der Vereinschronik. Wir sehen die schwungvollen Handschriften und Schnörkel des ersten Vorsitzenden Friedrich Schilling und seines Sekretärs Kalt. Jedes Wort ein kunstvolles Gebilde. Nirgendwo zittert die Hand. Die ersten Eintragungen berichten von der Aufnahme neuer Mitglieder, über die „ballotiert“ wurde. „Ballotage“ war eine geheime Abstimmungsmethode, die von der Abtwahl der Benediktiner über die Freimaurerlogen auf die Gesangvereine gekommen war. Jeder Wahlberechtigte erhielt eine schwarze und eine weiße Kugel, die er verdeckt in bereitgestellte Behälter legte. Die weiße Kugel bedeutete pro, die schwarze contra. An der Häufigkeit, in der über das Ballotieren berichtet wird, lässt sich die Wichtigkeit dieses Verfahrens für den Verein erkennen. Es ist der Eintrittsritus, dem sich jedes neue Mitglied unterziehen muss. Nicht die wohlklingende, kräftige oder geschulte Stimme wird als ausschlaggebendes Aufnahmemerkmal in der Chronik festgehalten, sondern der gute Leumund, die Honorigkeit unter den städtischen Honoratioren. Der Bürgermeister, der Pfarrverweser, der Lehrer, der Arzt, der Bezirksförster und die Gemeinderäte sind in den Anfängen sozusagen die geborenen Mitglieder des Vereins. Es ist davon auszugehen, dass das Bürgerrecht Voraussetzung für die Mitgliedschaft im neu gegründeten Männergesangverein bildet.
26.02.1862. Der erste Sängerball. „Auf den 16. ds veranstaltete der Gesangverein Sulzburg seinen ersten Sängerball, der sehr zahlreich besucht war, insbesondere auch von der Ehrenmitgliedschaft.

Die Art der Arrangierung war folgende: Anfang 7 Uhr mit dem Vortrag der Lieder
1. Brüder reicht die Hand zum Bunde
2. Ein Gesang in Ehren
3. Was schimmert dort auf dem Berge
4. Rund ist alles auf der Welt
5. Weil wir so beisammen sind
6. Den Weidmann entzücket die Jagd

Von 8 bis nach 10 Uhr Tanz; hierauf Nachtessen. Unter dem Essen Vortrag von „Es gfallt mir immer eine" und nach dessen Beendigung vor Wiederbeginn des Tanzes Production von „Wir sind ein fest geschlossener Bund"; „Auf ,auf ,auf! Lasst der Freude ihren Lauf“; ,,Und weiter in dem Kreise gings, sie tanzten rechts, sie tanzten links, und alle Röcke flogen".
Heute Ballotage über 2 neue Aufnahmen und Anmeldungen, wonach C.E. Ruff, Stadtrechner, Joh. Gg. Schachtele zu inaktiven Mitgliedern angenommen wurden.
Sulzburg, 26.Febr. 1862. Der Präsident Schilling“
Von den Sulzburger „ Jungfrauen und Frauen“ erhält der Verein seine erste Fahne mit der Devise „Eintracht und Liebe".
In den Gesangvereinen der Nachbarorte, die zur selben Zeit entstehen, ist es nicht anders. Indem man den Austausch mit den Nachbarvereinen in Ballrechten, Britzingen, Buggingen, Dattingen, Gallenweiler, Heitersheim und Staufen und im badischen Sängerbund pflegt, entstehen freundschaftliche Beziehungen zu den Personenkreisen, die in den Nachbarorten das Gemeindeleben tragen. So berichtet der Präsident von damals in der Chronik:
„Sulzburg, den 14.September 1863. Am 7.September erließ der Gesangverein Buggingen eine Einladung an unseren Verein zu einer Zusammenkunft mit dem Bugginger, Hügelheimer und Britzinger Gesangverein im Gasthaus zur Krone in Buggingen, am Sonntag den 13. September. Es wurde sofort von unserem Gesangverein beschlossen, der Einladung Folge zu leisten, und es wurde dies als unser Gegenbesuch angesehen. NB. Unser Verein begab sich am 13. September sehr zahlreich nach Buggingen und fand eine sehr freundliche Aufnahme seitens der anwesenden anderen Vereine. Herbster Präs.“
Die Bälle und Sängerfeste dienen der gegenseitigen Information, dem Geschäft und nicht so selten der Eheanbahnung. In den Gesangvereinen entsteht eine eigentümliche Form badischer Geselligkeit und eine neue Form bürgerlicher Öffentlichkeit. Unter den vielen vereinstechnischen Aufzeichnungen finden sich in der Chronik gelegentlich Berichte, die die heitere Geselligkeit von damals anschaulich beschreiben:
„Eines Ostermontags, der wie der heutige, auf so allgemein befriedigende, recht vereinsmäßige Weise begangen wurde, darf in den Annalen des Vereins wohl Erwähnung geschehen. Die Mitglieder. die sich bis ein Uhr mittags im Schulzimmer zusammengefunden hatten, setzten sich, angeführt von der Ballrechter Blechmusik nach dem Badhaus in Marsch, allwo unter Singen, Trinken und, da der stattliche Zug auch auf mehrere Mädchen magnetisch gewirkt hatte, Tanzen und Privatzärtlichkeiten der Nachmittag schnell und vergnügt schwand, da auch beim Heimmarsch die ganze zahlreiche Gesellschaft ungetrennt beisammen blieb u. in wohlgeordnetem Zuge mit der Musik im Vortrab, das Gros von den Sängern und die Nachhut aus allerlei Volk gebildet, abwechselnd mit Musik und Gesang die Stadt Sulzburg durchschritt, so musste das natürlich auf die truppweis gaffende Einwohnerschaft einen respektgebietenden Eindruck machen. Beim Gasthaus zur Krone angelangt, ward rechts geschwenkt, um dort noch ein vergnügliches Ständchen zu bringen. (Das schiene Gesangvereinli!)“
Überall ist zu spüren: Der Verein ist nicht nur ein junger Verein, auch seine Mitglieder sind überwiegend junge Männer. Häufig lesen wir von Hochzeiten, Kindstaufen, von beruflichen Veränderungen und von weiten Tagesausflügen: zu Fuß über die Sirnitz auf den Blauen und auf dem Rückweg bei der Einkehr in Britzingen wird noch ein bisschen getanzt. Das gelingt nur in einem jungen Verein.

Eine neue Ära beginnt. Die patriotische Epoche des Vereins. 1871 — 1914.


1870, keine zehn Jahre nach der Vereinsgründung, werden 13.000 badische Soldaten in den Krieg gegen Frankreich eingezogen. Im August veranstaltet der Männergesangverein zusammen mit dem Sängerbund der jüdischen Bürger und dem Musikverein ein gemeinsames BenefizKonzert, das über den badischen Frauenverein, das damalige Badische Rote Kreuz, den Verwundeten zugute kommen soll.

Dann am 18./19.März 1871 „ ..... feierte unsere Stadt das Sieges- und Friedensfest. Am Abend dem 18.März war um 7 Uhr Läuten. Schießen und musikalischer Zapfenstreich. Am Festtag morgens den 19. März: Tagreveille. Böllerschüsse, Zug und Musik durch die Stadt. Um 9 Uhr Sammlung auf dem Schulplatz und um 10 Uhr Festzug in folgender Ordnung zur reich bekränzten Kirche. Voran die junge Schuljugend, die beiden Gesangvereine mit Fahnen, der Musikverein und eine Abteilung der Feuerwehr. Sodann kamen die städtischen Behörden und Gemeinderäthe; sowie hiesige Bürger, welche den Zug schlossen. Mittags halb 1 Uhr Zug der Schuljugend durch die Stadt mit Musik und Pflanzen der Friedenslinde in der neuen Straße."
Der Sieg der deutschen Truppen bei Sedan, die Ausrufung des deutschen Kaisers, die Entstehung des Deutschen Reiches, dessen Glied nun auch das Großherzogtum Baden wird, all das sorgt in den kommenden drei Jahrzehnten für einen spürbaren Klimawandel im Sulzburger Männergesangverein. Von nun an werden die Geburtstage des deutschen Kaisers und des badischen Landesvaters zu wichtigen Anlässen alljährlich wiederkehrender Bankette, an denen der Männergesangverein Konzerte gibt. Die patriotischen Lieder von der Wacht am Rhein, vom Gott der Eisen wachsen ließ, vom guten Kameraden bekommen einen bevorzugten Platz im Repertoire. Das deutsche Lied wird besungen. Die Treue zum deutschen Lied wird Ausdruck des höchsten Lobes für einen Sänger.
Doch weicht bereits zwei Jahre nach den Siegesfeiern diese Aufbruchstimmung einer tiefen allgemeinen Depression in Europa. Sie löst die zweite große Weltwirtschaftskrise aus und führt in weiten Teilen Deutschlands zu Verarmung und Verelendung. Diese Krise lässt die bürgerliche Gesellschaft in ihren Grundfesten erzittern und wird zum Keimboden des Antisemitismus. In Berlin beginnt Adolf Stöcker seine antisemitische Agitation, die später auf den Sulzburger Pfarrer Deßecker einen so unheilvollen Einfluss haben wird. Auch in Baden und in Sulzburg wird das Leben härter. Doch können wir die Aktivitäten des Männergesangvereins nicht weiterverfolgen, weil der Chronikband der Jahre 1876-1900 verloren gegangen ist. Die letzten Sätze des ersten Chronikbandes lauten: „ Somit wäre nun nach beinahe 15 Jahren dieses Buch ausgeschrieben und ich knüpfe hieran den Wunsch, dass bei Schluss des neuen Buches unser Verein noch blühen und gedeihen möge wie es bis dahin der Fall gewesen ist. Sulzburg 15. Februar 1876. Fr. Schilling Schriftführer.“

Erhalten geblieben ist einzig das Cassa-Buch, in dem sich die wirtschaftliche Depression für die Jahre 1873/74 an den nur minimalen Einnahmen und dem Wechsel von den Florin zur Mark ablesen lässt. Erst ab dem 25. Stiftungsfest 1886 zeigen die Zahlen im Rechnungsbuch wieder einen Aufschwung. Und 1894 verzeichnet das Cassabuch 10 Mark Einnahmen aus der Stadtkasse zum Eisenbahnbankett. Sulzburg erhält in diesem Jahr einen Bahnanschluss. Der Gesangverein singt zur feierlichen Eröffnung der Bahnstation und erhält damit sein Eintrittsbillett in die Eisenbahnwelt. Leider erfahren wir aus der Sulzburger Stadtchronik nicht, wann sich die Bürger von Sulzburg zum ersten Mal des Gaslichtes oder der Elektrizität bedienen konnten. Diese Errungenschaften wurden nicht besungen.
Als 1901 das vierzigste Stiftungsfest im Schwarzwaldhotel direkt am neuen Bahnhof gefeiert wird, sind noch zwei Sänger aus der Zeit der Vereinsgründung anwesend: Fr. Böhringer und L. Schächtele. Der Chor singt Lieder, die auch heute noch zum Repertoire gehören: „Die Abendglocken“, den „Frühlingsgruß“, „Frisch gesungen“. Wir erfahren aus der Chronik, dass ein Fähnrich und ein Vereinsdiener gewählt werden. 1905 wird als übliche Vereins-Gewohnheit für den ersten Weihnachtstag eine Christbaumfeier beschrieben. Geschenke werden verlost, der Baum wird versteigert. 1907 verzeichnet die Chronik die Einweihung des Friedrichshorts Bad Sulzburg und 1912 des Krankenhauses. Diese Ereignisse sind jeweils als wichtige Daten der Vereinsgeschichte festgehalten worden und zeigen, dass der Männergesangverein fest in das Gemeindeleben integriert ist. Allerdings verliert er bereits vor dem Weltkrieg offenkundig seine Anziehungskraft. Die Gründe sind weder der Stadt- noch der Gemeindechronik zu entnehmen. 1913 hat er nur noch 11 Mitglieder und als 1914 der Beginn des ersten Weltkrieges mit so viel Hurra-Patriotismus in Deutschland gefeiert wird, verstummt der Männergesangverein völlig.
Der mühsame Neuanfang.

Die Epoche des Deutschen Liedes im Verein.1919 — 1933.

Der erste Weltkrieg ist eine europäische Katastrophe. In Deutschland wird die junge, mit Großmachtstreben verbundene nationale Identität zutiefst verletzt. Wer als Soldat die Grabenkämpfe überlebt, kehrt desillusioniert zurück. 36 junge Sulzburger, darunter ein Sänger und der Dirigent des Gesangvereins, sind dem Krieg zum Opfer gefallen. Die vier Kriegsjahre haben das Bewusstsein verändert. Die Materialschlachten, die Entwurzelung aus den sozialen Beziehungen, Arbeitslosigkeit, Hunger und Elend haben die Einstellungen der Menschen zu einander und zum Staat verändert. Die tragenden Institutionen der alten Gesellschaft sind zusammengebrochen. Der geltungssüchtige Kaiser hat abgedankt. Der badische Landesvater ist zurückgetreten. Die Republik ist ausgerufen worden. Deutschland wird von Freikorps und radikalen Brigaden terrorisiert. Die wirtschaftliche Lage ist trostlos. Das Geld verliert rapide an Wert. Was bedeutet in einer solchen Zeit gemeinsames Singen? Das erste Lied, das die Chronik nach dem Weltkrieg verzeichnet, ist ein Trauerlied. Es gilt den gefallenen Soldaten.

Im Feld des Morgens früh
eh noch die Nebel sanken
die Halme fallen und wanken
es denkt die junge Mähderin
an ihren Schatz mit treuem Sinn
im Feld des Morgens früh

Im Feld des Morgens
früh eh noch die Nebel sanken
die Streiter fallen und wanken
es kämpft ein jung Husarenblut
auf schwarzem Ross mit keckem Mut
im Feld des Morgens früh.

Im Feld des Morgens früh
der Mähdrin wird so bange
ihr wird so bleich die Wange
ein junger Reiter sinkt vom Ross
die Kugel ihm die Brust durchschoss
im Feld des Morgens früh.

Im Jahr 1919, als der erste Versuch gemacht wird, den Männergesangverein neu zu aktivieren, vertreten viele Sänger die Meinung, ein reiner Männergesangverein sei nicht mehr zeitgemäß, die verschiedenen Sulzburger Chöre sollten einen einzigen gemeinsamen gemischten Chor bilden. Aber diese Meinung muss auf energischen Widerstand gestoßen sein, denn der Neuanfang verzögert sich um mehr als ein Jahr.
Erst im Oktober 1920 finden sich genügend Männer zusammen, die den alten Männergesangverein wieder aufleben lassen wollen. Der Oberlehrer Bitsch ist bereit, das Amt des Dirigenten unter drei Bedingungen zu übernehmen: 1. Der Gemischte Chor Frohsinn, der inzwischen in Sulzburg zu einer festen Größe geworden ist und Männer wie Frauen, Christen wie Juden vereint, soll durch den Männergesangverein nicht geschädigt werden. 2. Aus dem Vereinsleben soll jede politische und sonstige vereinsfremde Tendenz ausgeschlossen werden. 3. Die aktiven Mitglieder sollen ihre Pflicht erfüllen und pünktlich an den Proben teilnehmen.
In dieser Zeit des Umbruchs und der Not scheint der Gesangverein eine besondere Anziehungskraft auszuüben. Im März dieses Jahres zählt er bereits wieder 38 aktive und 57 passive Mitglieder. Aber es sind nicht die Trauerlieder für die Gefallenen, die die Sänger anziehen, sondern das soziale Netz und die Geselligkeit des Vereins, die in dieser instabilen Zeit Lebenssicherheit zu versprechen scheinen. Er setzt dort wieder an, wo er vor dem Krieg aufgehört hat. Die Sänger suchen Kontinuität und Kontrast zum grauen Leben der Nachkriegszeit. Nach dem Versagen der Politik und dem Verlust der militärischen Geltung werden die deutsche Kultur und das deutsche Lied zu allgemeinen psychischen Stützen für die gedemütigte deutsche Nation.
Nicht mehr die kaiserlichen oder großherzoglichen Geburtstage bilden von nun an die Höhepunkte des Vereinslebens, sondern klassische Konzerte und Freundschaftsfeste. Der Sulzburger Bürgermeister mahnt die Sänger eindringlich "zu Zusammenhalt und Einigkeit. Gerade in der jetzigen Zeit, wo unser deutsches Vaterland so sehr bedrängt sei, müsse man fest und entschlossen zum deutschen Liede halten. Wenn uns unsere Feinde auch alles nehmen, unsere deutschen Lieder können sie uns nicht rauben." Der Verein zählt jetzt nicht weniger als 19 Bässe und 21 Tenöre.

Am 10.07.1921 veranstaltet der Verein zusammen mit dem Freiburger Gesangverein Fidelitas und „unter Mitwirkung der hiesigen Musik ein Waldfest und zwar das erste seit Kriegsende. Vormittags wurden die Freiburger Sänger mit ihren Angehörigen vom Bahnhof durch den Verein und die Musik empfangen. Nachdem in der Krone der Frühschoppen eingenommen war, begleitete man die Gäste nach dem Rebstock zum Mittagessen. In einem Festzuge mit Musik, Fahnen, Ehrenjungfrauen und Blumenmädchen voraus marschierte man um 2 Uhr nach dem Sedan-Platz.
Die Gesangvereine von Laufen und Britzingen hatten unserer besonderen Einladung Folge geleistet, und aus allen umliegenden Gemeinden waren zahlreiche Zuhörer herbeigeeilt, so dass der geräumige Platz die Menschenmenge kaum fassen konnte. Durch einen Gesamtchor wurde das Fest eingeleitet. Sodann erklangen die Lieder der einzelnen Vereine und die Klänge der hiesigen Musik, ferner der Freiburger Hauskapelle (Mandolinen und Gitarren) in rascher Reihenfolge. Ein jeder einzelne der Mitwirkenden war bestrebt sein Bestes aufzubieten. Abends geleitete man unter schneidigen Marschklängen den Freiburger Verein wieder nach dem Bahnhofe, und man schied mit dem Bewusstsein, dass das Freundschaftsband zwischen den beiden Gesangvereinen enger geknüpft ist.
Sodann marschierte man dem Hirschen zu, wo man noch einige Stunden in fröhlicher Stimmung dem Tanze huldigte. Mit dem Ausdruck der Befriedigung darf der Verein auf den feierlichen Tag zurückblicken und die schönen Stunden werden auch jedem Teilnehmer in angenehmer Erinnerung bleiben."
Nach und nach bekommen die Geselligkeiten im Verein ein so großes Gewicht, dass auf der Generalversammlung 1923 das Amt eines „Vergnügungskommissärs“ eingerichtet wird. Und eine solche emotionale Stütze wird notwendig gebraucht. Der Chronist: „ Wegen der ständig fortschreitenden Geldentwertung wurde beschlossen, statt der Einziehung des Beitrages eine Weinsammlung zu veranstalten". Um sich eine Vorstellung von dieser Geldentwertung zu machen: Im Januar hatte die Vereinskasse einen Kassenstand von 4.007 Mark. Im Februar erbrachte die Weinsammlung einen Ertrag von 25.000 Mark. Im November erbrachte eine Spende von 25 Liter Wein bereits 1,5 Milliarden und am Jahresende beliefen sich die Einnahmen auf: 2 Billionen 1 Milliarde 212 Millionen 64.000 ein hundertsieben Mark 45. Nach Abzug der Ausgaben in ähnlich schwindelnder Höhe fanden sich noch 984.392 Mark in der Vereinskasse. Allerdings ergänzt der Kassenwart: „Als Vereinsvermögen steht dem Vereine noch zirka 110 Ltr.1923er Markgräfler zur Verfügung." Nach der Währungsreform von 1924 beginnt der Verein dann wieder mit 20 Rentenmark.

Bemerkenswert ist aus diesem Jahr 1924 nicht nur, dass der Männergesangverein beim Wettsingen in Emmendingen unter 63 Konkurrenten den 1.Preis erringt, sondern in welcher Form diese Ehrung in Sulzburg gefeiert wird: "Als wir mit dem 9 Uhr Zuge daheim ankamen, war die Kunde von unserem Siege in Sulzburg schon bekannt geworden. Die Stadtmusik, der gemischte Chor und die ganze Sulzburger Einwohnerschaft empfingen uns am Bahnhof und in geschlossenem Zuge ging es zum Marktplatz, wo wir unser Preislied nochmals zum Vortrag brachten. Nachdem begab man sich ins Vereinslokal um dem in heißem Kampf erstrittenen Pokale die gebührende Weihe zu geben. Bei frohen Reden und Becherklang saß man beisammen bis lange nach Mitternacht und die wackeren Musiker ließen es sich nicht nehmen, uns sogar noch zum Tanze aufzuspielen."
Im Februar 1925 lesen wir von einem Sommernachtsrummel. „Es war etwas einzig Großartiges, etwas was Sulzburg noch nie gesehen und nie erlebt hatte. Allein drei Musikkapellen waren für diesen Abend engagiert und viele Freunde sogar aus Italien und aus Japan hatten sich eingefunden, um mit den Sulzburgern fröhliche und gemütliche Stunden zu erleben... Die beiden unermüdlichen Vorstände Herr Bloch und Herr Lanz haben alle Programm-Nummern bis ins Kleinste fein und sauber ausgedacht." Die Fastnachtsveranstaltungen nehmen in der Chronik einen immer breiteren Raum ein.
Im Oktober beschließt man, sich eine neue Fahne anzuschaffen, die dann zum 65. Stiftungstag in einer großen Feierstunde, zu der 19 Vereine kommen, eingeweiht wird. Die Chronik zitiert einen Sängerveteran am Vorabend: „Wenn er am morgigen Festtag hilft die alte Vereinsfahne zu Grabe zu tragen, wird es ihm ums Herz sein, als wenn man einen lieben Freund, einen treuen Kameraden zur letzten Ruhe begleitet. In „Liebe und Eintracht" steht auf der alten Fahne als Devise, in Liebe und Eintracht hat die Fahne die Sänger mehr als 60 Jahre begleitet, in Liebe und Eintracht wollen wir von ihr Abschied nehmen." Auf der neuen Fahne ist nun zu lesen: „Wo grüßend Rebenzweige rauschen, magst du dem deutschen Liede lauschen.“
Die folgenden Jahre bis zur 70-Jahrfeier zeigen einen Verein, der gemeinsame Konzerte mit dem Gemischten Chor Frohsinn, Maskenbälle und Fastnachtsfeiern veranstaltet. Der Dirigent des Gemischten Chores Alfons Kind wird nun zugleich auch Dirigent des Männergesangvereins. Dadurch entsteht eine noch engere Bindung zwischen den beiden Sulzburger Gesangvereinen. Beide singen gemeinsam anlässlich von Zusammenkünften des Gewerbevereins. Gustav Bloch, der Vorsitzende des „Frohsinns", angesehener jüdischer Zahnarzt in Sulzburg, ist häufiger und gern gesehener Gast im Männergesangverein.

1932 wird die neuerliche Weltwirtschaftskrise auch in Sulzburg spürbar. Die in den vergangenen Jahren so beliebte Fastnachtsfeier fällt aus. Die Einnahmen der Vereinskasse schrumpfen auf 298 Mark. Der Mitgliedsbeitrag muss von 4 auf 3,20 Reichsmark pro Jahr ermäßigt werden. Die GemaGebühren können nicht mehr gezahlt werden. Erwerbslose Sänger werden für das Jahr 1933 von der Beitragszahlung befreit. Vier verdiente Sänger, darunter selbst der frühere Vorsitzende Josef Lanz verlassen den Verein. Wir erfahren nicht, ob aus wirtschaftlichen oder anderen Gründen.
Gleichschaltung unter dem Führerprinzip.

Die nationalistische Epoche des Vereins. 1933 — 1945.

Im folgenden Jahrzehnt ändern sich die Verhältnisse in Sulzburg einschneidend. Erstes Zeichen dafür ist, dass die Jahreshauptversammlung 1933 kurzfristig verlegt werden muss, weil das Vereinslokal Krone anderweitig, d.h. aller Wahrscheinlichkeit nach von der NSdAP beansprucht wird. Ein anderes Zeichen ist die Behandlung des Vereinsvorsitzenden des befreundeten Gemischten Chores Frohsinn. Wie in der Sulzburger Stadtgeschichte III. S.279 zu lesen ist, wird Gustav Bloch nachts von einer Schlägerbande aus der Wohnung geholt und an der Landstraße zwischen Heitersheim und Eschbach halb tot geschlagen. Es hätte nicht viel gefehlt und dem bisherigen Dirigenten Kind, eng befreundet mit Gustav Bloch, wäre dasselbe passiert. Jedermann in Sulzburg erfährt davon. Jeder weiß warum.
Die Chronik erwähnt den Vorfall mit keinem Wort. Aber ihre Sprache spiegelt die Veränderungen, die sich in der Stadt vollziehen: Die Sänger werden nicht mehr zum Singen aufgefordert, sondern „tatkräftig mitzuarbeiten an der Pflege des deutschen Liedes". Die Chronik rühmt den „ jugendstarken, naturwahren Nationalsozialismus,“ der fertigbrachte, „woran die alten Parteien scheitern mussten, das zerrissene Volk in seiner Mehrheit auf einen Nenner zu bringen. Der am 5. März erfochtene Sieg fand seine Bestätigung am 21. März durch den aus ihm hervorgegangenen Reichstag. Die Kundgebung wurde hier wie allerorts mit Begeisterung gefeiert." Das Grab „des Nationalhelden Albert Leo Schlageter" wird Ausflugsziel des Vereins.
Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung vom 01.10.33 wird auf eine Anweisung des Deutschen Sängerbundes die Gleichschaltung des Gesangvereins vollzogen. „Nach den neuen Bestimmungen ist auch in den Vereinen das Führerprinzip eingeführt. Bloß der Führer wird gewählt und der bestimmt seine Amtswalter. Die Wahl des Führers bedarf der Bestätigung des Kreises". Der bisherige Vorsitzende tritt zurück. Ein „Vereinsführer“ wird gewählt. Er unterrichtet auf der Weihnachtsfeier die Anwesenden über „die Mission, welche der Sänger im neuen Reiche zu erfüllen habe." Die Weihnachtsfeier 1933 und von da ab auch die Generalversammlungen enden mit einem „dreifachen „Sieg Heil" „auf unser Vaterland sowie auf unseren Volkskanzler Adolf Hitler".
1934 stellt sich der Verein „ in den Dienst der nationalen Sache". Der Verein beteiligt sich an der „Frühjahresoffensive gegen die Arbeitslosigkeit durch die Regierung." 21.03.34. Aus den Sängerbrüdern werden jetzt „Sängerkameraden". Ein solcher kennt nur eines: „restlose Pflichterfüllung in grenzenloser Begeisterung für unser deutsches Lied ". 06.05.34.
Sitzungen werden abgehalten, Ehrentrunke werden verabreicht. Der Herbstsängertag wird ein Markstein in der Vereinsgeschichte und endet mit dem Deutschland- und Horst-Wessel-Lied. Man beteiligt sich an der Saarrückgliederungsfeier 09.03.35 und an der Heldengedenkfeier. Man singt für die in Sulzburg weilenden KdF-Teilnehmer (Kraft- durch-Freude). Bemerkenswert ist wie die Bezeichnung für den Vereinsvorsitzenden in den Jahrzehnten wechselt: 1861 hatte der Verein einen Präsidenten, 1901 einen Vorstand, 1927 einen Vorsitzenden, und jetzt ab 1933 bis zum Erliegen des Vereins 1939 einen Vereinsführer.
Im Mai 1936, in dem Jahr in dem in Berlin die Olympiade stattfindet, wird das 75jährige Vereins-Bestehen gefeiert. Auf die Vorbereitung nehmen Bürgermeister und Ortsgruppenleiter der NSDAP maßgeblichen Einfluss. Es steht unter dem Leitgedanken "Heimat-Vaterland- Soldatenlieder".

Steh ich im Feld,
Mein ist die Welt.
Hab ich kein eigen Haus,
Jagt mich doch niemand 'naus,
Fehlt mir die Lagerstätt,
Boden bist du mein Bett,
Mein ist die Welt!

Steh ich im Feld,
Mein ist die Welt.
Kommen mir zwei und drei,
Haut mich mein Säbel frei;
Schießt mich der vierte tot,
Tröst mich der liebe Gott.
Juhe ins Feld!

Wie kommen die Soldaten in'n Himmel,
Kapitän und Leutenant?
Auf einem weißen Schimmel,
Da reiten die Soldaten in'n Himmel.

Wie kommen Offiziere in d'Höllen,
Kapitän und Leutenant?
Auf einem schwarzen Fohlen,
Da wird sie dann der Teufel schon holen.

Ihren Höhepunkt findet die Feier in einem Treueschwur zu Führer und Vaterland. Die Festschrift skizziert die Bedeutung des Tages mit folgenden Worten: "Am heutigen Tage, wo wir das 75 jährige Bestehen des Vereins begehen, können wir mit Stolz uns freuen, einen Führer und Reichskanzler in Adolf Hitler zu haben, welcher das 3. Deutsche Reich am 30. Januar 1933 gründete und ein geeinigtes Deutsche Reich schuf, während die übrige Welt in gespannten Gegensätzen sich befindet, Deutschland jedoch inmitten im Herzen Europas als ruhender Pol steht." Keine drei Jahre sollte diese Ruhe dauern.
1937 wird ein hiesiger Sängerkamerad zum Polizeigewaltigen, der bei der Weihnachtsfeier des Vereins auch gleich für das Einhalten der Polizeistunde sorgt — zum Leidwesen der Sänger. Man beteiligt sich am 12.03.38 am Umzug aus Anlass der Wiedervereinigung Österreichs mit dem Reich und am 09.04.38 an einem Umzug, der als Propaganda zur bevorstehenden Wahl stattfindet.
Dann gerät die Schriftführung in Unordnung, Eintragungen von 1938 werden auf 1939 datiert. Ein Blatt wird aus der Chronik entfernt. Von einer Gesangvereins-Chronik lässt sich nicht erwarten, dass sie die Geschichte der Stadt schreibt, schon gar nicht in Zeiten einer Diktatur. Darum erfahren wir auch nichts über den Pogrom des Jahres 1938, der die Sulzburger Juden, aber nicht nur sie, in Angst und Schrecken versetzt, und der keinem Sulzburger Sänger entgangen sein dürfte. Aber dieses Schweigen hilft uns die Schalheit zu verstehen, die aus dem Bericht über die letzte Weihnachtsfeier spricht, wenn man ihn mit den farbigen früheren Berichten vergleicht: „Am 25. Dezember hielten wir unsere Weihnachtsfeier ab. Wie immer war der Besuch sehr gut. Um 8 Uhr abends eröffnete die Kapelle Döhrmann Freiburg mit einem Eröffnungsmarsch die Feier. Das Weitere spielt sich in programmmäßiger Reihenfolge ab. Nach der Gabenverlosung wurde noch tüchtig das Tanzbein geschwungen. Der Verein konnte für diesen Abend einen vollen Erfolg buchen.”
Mit der Mitglieder-Versammlung im Februar 1939 endet die Berichterstattung abrupt. Am 22.10.1940 werden 27 jüdische Sulzburger nach Gurs deportiert. In den sechs Jahren zwischen 1939-1945 fallen 107 Sulzburger Bürger dem Weltkrieg zum Opfer, darunter 9 Mitglieder des Gesangvereins.
50 Jahre später schreibt Max Schötzau, der Vereinsvorsitzende der Jahre 1938-48, auf die Zeilen, die unterhalb der Niederschrift der Mitgliederversammlung von 1939 frei geblieben waren, einen Nachtrag in die Chronik:
"Am 27. und 28 August 1939 wurden mehr als die Hälfte aller Sängerkameraden von einem Tag zum anderen zum Wehrdienst eingezogen, ebenso unser Dirigent Hauptlehrer F. Rödler. Der Vereinsbetrieb ruhte bis 1948. Der zweite Weltkrieg war im Mai 1945 zu Ende, doch wie furchtbar und trostlos sah Deutschland aus! - Millionen Menschen waren auf den Schlachtfeldern und auf den Weltmeeren geopfert, in den völlig zerbombten Städten lagen viele Menschen unter den Trümmern begraben und viele blieben verschollen. Elend, Not und Hunger allüberall! Unzählige heimkehrende Soldaten fanden ihr Heim und ihre Familie nicht mehr vor.
Dies war unser geliebtes Vaterland, das wir immer so voll stolzen Herzens freudig besungen hatten. ... Könnte es denn jemals zu einem 3. Weltkrieg zwischen Ost und Welt kommen? Armes Deutschland und Europa, was würde aus dir? - Gott möge diesen unmöglichen Wahnsinn verhindern! "

Der zweite Neuanfang. Anschluss an die Klassiker. 1948 - 1961.


Nach Ende der unheilvollen Epoche des Nationalsozialismus und der kriegerischen Zerstörung Europas vergehen drei Jahre, bis in Sulzburg die Menschen wieder den Mut fassen, gemeinsam und öffentlich zu singen. Landratsamt und Militärregierung müssen ihr Einverständnis geben, bevor am 26.08.1948 der Verein im Probenlokal zur Krone neu begründet wird. Das Bemühen, das Vereinsleben unter veränderten Vorzeichen dort wieder aufzunehmen, wo es zum Erliegen kam, ist deutlich spürbar. Der 1.Vorstand der Jahre 1934-38 Emil Sum übernimmt den Vereinsvorsitz. Der letzte Dirigent der Vorkriegszeit Fritz Rödler wird auch der erste Dirigent der Nachkriegszeit. Die Kontinuität ist wieder hergestellt.
Die ersten Lieder, die der Verein singt: "Stumm schläft der Sänger" und „Nun ruhet in Frieden" gelten den Toten des Krieges: der Verein trauert um acht gefallene Sängerkameraden.

Stumm schläft der Sänger,
Dessen Ohr gelauschet hat
An and'rer Welten Tor.

Du schlummerst stille,
Schlummerst leicht,weil über dir
der Sturm und Zephir streicht,

Der Sturm, der dir den
Schlachtgesang durchdröhnt,
Der Hauch, der sanft
Im Lied der Liebe tönt.

Im März 1949 kommt der Gesangverein Münstertal als Gast nach Sulzburg. Dessen gemischte Zusammensetzung animiert die Sulzburger Frauen, einen eigenen Chor zu bilden und sich dem Männergesangverein anzuschließen. Von nun an berichtet die Chronik über gemeinsame Konzerte des Männer-, des Frauen- und des Gemischten Chors. Ab 1951 erhält eine Vertreterin der Frauen einen Platz im Vorstand. Es wird
noch viele Jahre in Sulzburg so bleiben, dass der Männergesangverein weibliche Mitglieder aufnimmt und so entsteht die Kuriosität, dass der Männergesangverein Sulzburg bis 1976 zu einem guten Drittel aus Frauen besteht.

Auf den Programmen der ersten Nachkriegsjahre stehen vor allem klassische Lieder von Schubert und Brahms. Die für Propagandazwecke missbrauchten Lieder sind aus dem Repertoire verschwunden. Viele deutsche Volkslieder haben in der Zeit der Diktatur ihre Unschuld verloren. Als das 90 jährige Bestehen des Vereins 1951 gefeiert wird, werden Lieder von Haydn, Carl Maria von Weber, Mozart gesungen und es stehen wieder zwei Lieder des in den vergangenen Jahren als „entartet" diffamierten Musikers Mendelssohn-Bartholdi auf dem Programm. Die ganze Stadt scheint zu diesem Jubiläum auf den Beinen zu sein. Der Marktplatz wird zu einem imposanten Festplatz. 20 Gastvereine kommen nach Sulzburg. Die Chronik schreibt „von einem gewaltigen Festzug, begleitet durch Böllerschüsse und angeführt durch die Festreiter, deren Pferde unter den Märschen der Musikkapelle trampelten.“
Zehn Jahre später ist die Freude an anspruchsvollen Programmen weiter gewachsen. „Der Verein veranstaltet zu seinem 100jährigen Bestehen ein Festkonzert in der evangelischen Stadtkirche, das in seiner Programmgestaltung der kulturellen Bedeutung des Anlasses und des Aufführungsortes Rechnung trägt und darüber hinaus mit Werken von G. Fr. Händel, J. A. P Schulz, Hans Fr. Micheelsen, J. S. Bach usw. auch ein Synthese, die eine zusammenfassende Verbindung von alter und gegenwärtiger Musik darstellt.“
Gesungen wird das Halleluja aus dem Messias und die Hymne von Johann A.P. Schulz:

Groß ist der Herr! Die Himmel ohne Zahl Sind Säle seiner Burg, Sein Wagen Sturm und donnerndes Gewölk Und Blitze sein Gespann. Die Morgenröt' ist nur ein Widerschein Von seines Kleides Saum, Und gegen seinen Glanz ist Dämmerung der Sonne Flammend Licht.
Er sieht mit gnäd'gem Blick zur Erde herab, Sie grünet, blüht und lacht. Er schilt, es fähret Feuer vom Felsen auf, Und Meer und Himmel bebt. Lobt den Gewaltigen, den großen Herrn, Ihr Lichter seiner Burg, Ihr Sonnenheere flammt zu seinem Ruhm, Ihr Erden, singt sein Lob.
Wie feierte man damals das 100jährige Bestehen des Vereins? – „Das Festprogramm des Sonntags den 23. Juli begann in der Frühe um 6 Uhr. Dumpfe Bollerschüsse dröhnten vom Schlössle herunter in unser schon sonnenbestrahltes Städtchen.“ Totenehrung am Grabmal des Vereinsgründers Fritz Schilling und am Ehrenmal. Die beiden christlichen Konfessionen feiern getrennte Festgottesdienste. „Die Gastvereine werden auf dem Markplatz empfangen, um in einem festlichen Zug durch unser blumengeschmücktes Städtchen unter Vorantritt des hiesigen Musikvereins zur Festhalle am Sportplatz zu marschieren.“ Reden des Vorsitzenden, des Bürgermeister, des Landrates. Selbst der Vizepräsident des Deutschen Sängerbundes ist aus Bremen angereist, um dem Verein zu gratulieren. Chronik und Zeitung berichten von 25 Gastvereinen, tausend Sängern und Gästen, die sich in Sulzburg zum Freundschaftssingen vereinen. Doch auch damals galt: kein Fest ohne malheur. Am Abend wollen tausend Sänger und Gäste „im Rhythmus der Freude“ tanzen, aber die Tanzfläche ist zu klein, die Belastung des Tanzbodens zu groß.

Freude am gemeinsamen Singen. Epoche der Freizeitkultur. 1962 — 2002.

Zur Charakterisierung des Gesangvereins in den 60er Jahre lesen wir in der Festschrift von 1986: „Den verdienstvollen Bemühungen des damaligen Bürgermeisters Eugen Hochstatter, verdankte die Stadt Sulzburg ab Ende der 50er Jahre eine Entwicklung hin zur Erholungs- und Fremdenverkehrsgemeinde. Auch dem Gesangverein Sulzburg erwuchs hierdurch eine neue Aufgabe, denn wollte man die steigende Anzahl von Besuchern bei Laune halten, so musste man ihnen auf kulturellem Gebiet Abwechslungsreiches bieten. An manchem Samstag und Sonntag stellten sich die Sängerinnen und Sänger dem Verein zur Verfügung, um den Gästen durch Konzerte im Kurpark oder im Saal eine musikalische Unterhaltung bieten zu können. Damit leistet auch der Gesangverein Sulzburg seinen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur steigenden Beliebtheit des Städtchens als Fremdenverkehrsort.“

Über die 70er Jahre lesen wir in derselben Festschrift: 1974 schließen sich die beiden Gemeinden Sulzburg und Laufen mit Sankt Ilgen zu einer Gemeinde zusammen und begehen ihre Vereinigung mit einem großen Fest, das von da alljährlich als die Sulzburg-Laufener Weinkurtage eine große Anziehungskraft auf die Umgebung ausüben wird. Der Gesangverein verschafft sich eine große Sängerlaube, die er alljährlich zum Fest auf dem Marktplatz errichtet, um die vielen Gäste kulinarisch bewirten zu können. Außerchorische Veranstaltungen gehören jetzt fest zu seinem Terminkalender.
Seit dem Zusammenschluss gibt es nun in Sulzburg vier Chöre: den evangelischen Kirchenchor von 1945, den katholischen Kirchenchor, den Männergesangverein von 1861 und den Laufener Gesangverein. „Er tritt regelmäßig selbst als Veranstalter größerer Feste und Feiern in Erscheinung. Erinnert sei hier an das alljährlich stattfindende Fasnettreiben mit dem Hausball im „Gasthaus Rebstock" und der Kinderfasnet in der Schwarzwaldhalle sowie an den beliebten Maihock am 1. Mai. Auch an den Sulzburger Laufener Weinkurtagen beteiligt sich der Verein seit Bestehen dieses Festes 1974 mit viel Engagement und Freude, auch wenn — wie ein Mitglied einmal seufzend gestand — niemand traurig wäre, wenn das bekannte Weinfest nur alle zwei Jahre stattfände. Gerade solche „außerchorischen" Veranstaltungen fördern den Zusammenhalt unter den Sängern und wirken sich positiv auf das zwischen menschliche Klima im Chor aus. So nimmt es nicht wunder, wenn die harmonische Atmosphäre im Gesangverein Sulzburg immer wieder besonders hervorgehoben wird.“ Ein Sulzburger Sänger dichtet:

Heimat so schön!
Inmitten von Wald und Wiesen
Ein Städtchen aus Gotteshand.
Zur Einkehr Reben dich grüßen
Mein Sulzburg im Markgräfler Land.

Wo Kurgast und Wanderer finden
Erholung und gutes Mahl
Mein Sulzburg, dich muss man lieben,
Du Städtchen im Sulzbachtal. (Hans Ruf)

Was für die 80er Jahre notiert wird, kann ebenso für heute gelten: „Die ganze Bandbreite des Vereinsleben wäre nur unvollständig erfasst, wollte man die vielen geselligen und gesellschaftlichen Veranstaltungen der letzten Jahre außer achtlassen. Anlässe zum fröhlichen Beisammensein im Kreise der Sängerfreunde fanden und finden sich immer: sei es ein Geburtstag — vielleicht sogar ein „runder" — die silberne bzw. goldene Hochzeit eines langjährigen Mitgliedes, ein erfolgreiches Konzert oder auch „nur" eine gelungene Probe, die damit einem kleinen Umtrunk gewürdigt wird. Nicht immer jedoch waren die Ereignisse, die die Sänger außerhalt der Singstunden zusammenführten fröhlicher Natur, gehörte doch das letzte Geleit für einen treuen Mitsänger oder Mitsängerin seit jeder zu den Selbstverständlichkeiten der Vereinsmitglieder.“

Die 90er Jahre standen in Europa ganz unter dem Eindruck der deutschen Wiedervereinigung und der großen Veränderungen in Osteuropa. Gesang spielte dabei eine große Rolle. Als sich die baltischen Staaten von der russischen Fremdherrschaft lösten, taten sie das mit einer „singenden Revolution“. Auf dem Tallinner Festplatz sangen 300.000 Esten gemeinsam ihre damals verbotene Nationalhymne. Ein Jahr später bildeten 3 Millionen Menschen von Tallinn bis Vilnius eine 600 Kilometer lange singende Menschenkette, um ihre Länder vor den russischen Panzern zu schützen. Fast ohne Blutvergießen wurde ihr Gesang mit ihrer politischen Freiheit belohnt.

In Sulzburg fällt der Blick nun stärker auf die Herkunft der Sängerinnen und Sänger. Der alemannische Dialekt wird immer weniger selbstverständlich. Es mehrt sich die Zahl der Vereinsmitglieder, die nicht aus Sulzburg oder aus Baden-Württemberg stammen.   Der Gesangverein wird nun auch zu einem Ort, an dem sich Menschen zusammenfinden, die an ihrem neuen Wohnort heimisch werden wollen. Die Freude am Gesang verbindet Alteingesessene und Neubürger.

Die Gegenwart.

Bereits in den 70er und 80er Jahren, besonders aber im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zeigt sich ein deutlicher Wandel im Liedgut. Der Sulzburger Gesangverein singt zwar weiter die schönen Volks- und Kunstlieder seines deutschen Musikerbes, aber der frühere Appell an die Treue zum deutschen Lied findet heute kaum noch Resonanz. Wie oft wählt der Chor, wenn er dem applaudierenden Publikum heute eine Zugabe bieten will, den Gospelsong „Kumbaja my Lord", oder „Sierra Madre del sur“, oder „Tiritomba“. Mit Freude singt er das französische Chanson „La Mer“. Die Fußball-Weltmeisterschaft brachte die afrikanische Nationalhymne „Nkosi sikeleli Afrika“ ins Repertoire. Das Liedgut ist global geworden. Singen vereint nicht nur die Bürger eines Ortes oder einer Nation, das gemeinsame Singen zeigt sich heute als menschheitsverbindend. Überall auf der Welt bringen die Migranten ihre fröhlichen und wehmütigen Lieder mit. Darin lebt ihre verlorene Herkunft weiter. Wenn wir sie gemeinsam singen, finden die Menschen einen neuen Ort und wir erweitern unsere Welt.

Und die künftige Epoche? – Für Vorhersagen, wie es mit dem Gesangverein Sulzburg weitergehen wird, sind die Chronik und der Chronist ungeeignet. Nur wenige Erkenntnisse sind sicher: Singen macht Freude. Singen will geübt sein. Singen schafft Freunde. Singen verbindet die Geschlechter, die Generationen, die Völker. Wie zur Zeit der Gründung singen die heutigen Sängerinnen und Sänger das „Lied vom Freisinn“:

Liegt das Gestern klar und offen,
Wirk‘ ich heute kräftig frei,
Kann auch auf ein Morgen hoffen,
das nicht minder glücklich sei.